Seit 2011 beschäftige ich mich explizit vor dem Hintergrund meiner grundsätzlichen Forschungsinteressen auch mit »dem Osten«, wobei es mir v.a. um die Art und Weise geht, wie dieser thematisiert und problematisiert und was dabei jeweils in den erkennenden Blick hinein fällt und was ausgespart bleibt. Insofern beschäftigen mich Fragen, wie: Wie ist dieser Blick strukturiert? Aus welcher Position erfolgt er? Welche Funktionen hat er? Welche Macht hat er im Sinne von, was bringt er hervor und was verunmöglicht er? Hier einige Auszüge aus meinen Publikationen ( eine vollständige Publikationsliste zum Thema finden Sie hier):

 

"Auch in Bezug auf die Erforschung »des Ostens« scheint mir ein solcher Paradigmenwechsel fruchtbar. Er würde zum einen eine Abkehr von einer rein empiristischen Betrachtung ‚des Ostens’, die diesen als Untersuchungsgegenstand nicht näher zu spezifizieren zu müssen meint und zum anderen eine Abkehr von atomistischen, substanzialistischen Theorieperspektiven bedeuten, die dann auch explizit mit einer Einbeziehung ‚des Westens’ als auf theoretischer Ebene gleichwertiger Partikularität einhergeht. Dies ermöglicht, den Blick nicht länger nur auf ‚den Osten’, sondern auch auf ‚den Westen’ und vor allem auf die Beziehung zwischen beiden Relata zu lenken, sowie generell verstärkt auch als migrantisch kategorisierte Perspektiven (in intersektionaler Manier) einzubinden, sowie ‚den Osten’ stärker auch als Gegenstand der Theoriegenese jenseits eines eng gefassten Ostdeutschlandforschungsverständnisses zu nutzen." (Matthäus 2021: Zum Theorieproblem »des Ostens«. Potenziale relationaler Theorieperspektiven. In: Kowalczuk, Ilko-Sascha (Hg.): „Umbruch, Abbruch, Aufbruch – (Ost)-Deutschlands Weg seit 1989. 70 Analysen & Denkanstöße zur Lage des Landes“. BpB-Schriftenreihe;  Korrekturen SM)

 

"Und es wird möglich, die immer wieder heiß diskutierte Frage nach auch ostdeutschen Selbst-Identifizierungen, die das Zusammenwachsen dessen gefährdeten, was qua Deutschsein zusammengehöre, um die Perspektive zu erweitern, dass deren Anerkennung eine Möglichkeit darstellt, die Vorstellung eines essenzialistischen Deutsch-Seins aufzubrechen, was nicht nur auch andere bindestrich-deutsche Identifizierungen entproblematisierte, sondern generell rassistischen Ideologien in Deutschland einen Teil ihrer Grundlage entziehen könnte (bereits Howard 1995). Vor allem auch global-historisch wird so verstehbar, inwiefern ‚der Osten‘ Deutschlands sowohl Teil ‚des Westens‘ ist, etwa im Hinblick auf die deutsche Kolonialgeschichte sowie die gegenwärtige globale Rolle Deutschlands samt deren epistemologischen Grundlagen wie konkreten Konsequenzen, als eben auch Teil ‚des (sozialistischen) Rests‘, mit [strukturell ]ähnlichen jedoch in Umfang, Qualität und Konsequenzen keinesfalls gleichen Erfahrungen im Hinblick auf essenzialisierende Veranderungen und damit verbundener Vorstellungen der Modernisierungs- und Zivilisierungsbedürftigkeit sowie der Zuweisung einer minderwertigen Partikularität (Foroutan/Kubiak 2018; auch bereits Matthäus 2016). Mit dem Ziel eines umfassenderen und tiefgründigeren Verständnisses ‚des Ostens‘ und seiner Phänomene, welches nicht mit Legitimierung verwechselt werden darf, geht es insofern hier nicht um eine Relativierung, sondern um eine Relationierung und Dezentrierung, die so natürlich auch in Bezug auf alle anderen Anderen in Anschlag gebracht werden muss. So kann denn auch diese Art von Doppelzugehörigkeit ‚des Ostens‘ als eine potenzielle gestaltungspositive Kraft mit neuen Möglichkeiten des gegenseitigen Verständnisses wie (wissenschafts‑)politischer Allianzbildung angesehen werden, etwa dadurch, auch in der Ostdeutschlandforschung und dem damit verbundenen öffentlichen Ost-West-Diskurs generell post- und dekoloniales wie auch postmigrantisches Denken, welches grundlegend eben v.a. auch relationales Denken darstellt, (tiefer) zu verankern." (Matthäus 2019: »Der Osten« als Teil »des Westens« und »des Rests«. Eine unmöglich knappe Skizze der Potenziale Postkolonialer Theorien für eine Analyse 'des Ostens'. In: femina politica, 2/2019)

 

"In der Bewusstmachung dieser Umstände liegt indes nicht nur die Möglichkeit auf »vollständigere (historische) Wahrheiten«. Sie geht auch mit einer ganz besonderen und bislang viel zu wenig bedachten Chance einher – der Chance zu erkennen, dass ostdeutsche Lebenserfahrungen im Hinblick auf das hier skizzierte spezifische Ins-Verhältnis-gesetzt-Werden und damit vor diesem Hintergrund Bewertet- bzw. genauer Abgewertet-Werden ganz entscheidende Gemeinsamkeiten mit denen anderer MigrantInnengruppen haben, was den Blick dafür öffnen könnte, dass ein gegenseitiges Verstehen gerade hier in besonderer Weise möglich wäre. Notwendig ist dafür jedoch ein diskursiver Raum, der eine Begegnung exakt über diese Erfahrungen ermöglicht und dies geht nur, wenn der (west‑)deutsche Blick, die (west‑)deutsche Perspektive nicht länger unmarkiert diesen Raum (vor‑)strukturiert, sondern als eine genauso spezifische Perspektive neben anderen in Erscheinung tritt." (Matthäus 2017: Eine postkoloniale symbolische Ordnung? Zum (Nicht-)Sag- und Denkbaren in Bezug auf den Osten (und den Westen). In: Freie Assoziation. Zeitschrift für psychoanalytische Sozialpsychologie, 20 (2),

 

"Das Problem 'Einheitsfiktion: Diese Perspektive zeichnet sich […] dadurch aus, dass sie 'den Osten' vor allem vor dem Hintergrund einer impliziten Einheitsfiktion in Erscheinung treten lässt. Gemeint ist damit die Vorstellung, dass der politischen Einheit eine kulturelle Einheitlichkeit entspricht und entsprechen muss. Eine Einheitlichkeit, die – man kennt dies aus Untersuchungen zu anderen Kategorien der Sozialstrukturanalyse, wie Geschlecht (etwa Butler 1991; Kerner 2009), 'Rasse' (Hall 1994; Fanon 2013) sowie Nationalität (Anderson 1988; Foroutan 2010) – jedoch Ausdruck einer faktisch benennbaren partikularen Position ist, die sich selbst zum Standard stilisiert" (Matthäus/ Kubiak 2016: »Der Osten« – Neue sozialwissenschaftliche Perspektiven auf einen komplexen Gegenstand jenseits von Verurteilung und Verklärung).